Trailerpark ist mein persönlicher
Lieblingsinbegriff von Ruhrpottasozialität – Wir sind vielleicht
ein wenig verstrahlt, hin und wieder ein wenig angepisst, aber
eigentlich sitzen wir in unseren Hörsäälen und Büros und feiern
uns, weil wir manchmal super rebellisch sind. Es wird sich in seiner
Asozialität gesuhlt, wenn man sich im Trailerpark bewegt, davon will
ich mich selbst nicht lossprechen: Es kann doch viel zu schön sein,
seinen gesamten Frust ein Wochenende mal zu ertränken und
rauszuschreien, bevor man wieder brav in die Uni dackelt und hinter
Büroschreibtischen vor sich hin vegetiert, in der Mittagspause
seinem Chef einen bläst und abends zu Domian einschläft.
Die Krönung des Ganzen: Die
Releasepartys bzw Ab 18-Shows. Es werden Pisse und Ekelcocktails für
T-Shirts heruntergewürgt, Spritzen liegen in der Menge, Fans haben
ungeschützten Geschlechtsverkehr mit Prostituierten und
Baseballschläger werden in Körperöffnungen gesteckt. Umso höher
sind die Erwartungen an das diesjährige Ab 18-Konzert, zu dem ich
mit Restalkohol und Berliner Luft bewaffnet zum Velodrom dackel.
Werden die Erwartungen übertroffen, obwohl das Gesundheitsamt
zuschaut?
Nach dem letzten Trailerpark Konzert im
August, das bei mir eine miese Gehirnerschütterung zu Folge hatte,
entschieden wir uns tatsächlich für Rangkarten, was mit dem
zufällig verstauchten Fuß nicht schlecht zusammenpasste – und bei
einer Wartezeit von 2 einhalb Stunden wohl nicht die schlechteste
Wahl war. Der Noisey Reporter schreibt, sie hätten sich auf ihren
Sitzplätzen dekadent zurückgelehnt und an ihrem Weißwein genippt –
in unserer Ecke hätte man ihnen den Becher vermutlich
verständlicherweise aus der Hand geschlagen und sie mit Bier
übergossen. Man mag davon halten, was man will, aber das Publikum
ist nicht dort, um ein bisschen im Bach-Loop den kleinen Finger zu
heben, sondern um zu konsumieren, zu pogen und, um zu grölen, nicht
zu singen. Wir sind hier schließlich nicht auf einem scheiß Andreas
Bourani Konzert. Glücklicherweise wurde das in unserem Teil des
Rangs auch so verstanden. Wir sitzen beim bekannten Konzert-Phänomen
und Alligatoah-Double Marcus alias Lord Gugueu in der ersten Reihe,
der spannende Geschichten erzählt und sein Cosplay so perfektioniert
hat, dass man fast ein bisschen geil wird. Perfekte Vorbereitung.
Als Voract betritt Karate Andi die
Bühne, was mich ungemein freut, Feuchtigkeitslevel steigt. Ich hatte
insgeheim darauf gehofft und wurde nicht enttäuscht. War anscheinend
auch nicht die schlechteste Wahl, denn das Publikum hat ebenso Bock.
Verstrahlte Blicke finden sich in der Lichtshow wieder, die Enge des
Innenraums hat den Vorteil, dass man sich am Hintermann abstützen
kann, bevor man umfällt. Alles soweit wie erwartet.
Nun endlich wird die Show mit „Wall
Of Meth“ eröffnet und die restliche Zeit vergeht gewissermaßen
wie in einem Rausch, auch wenn das Bier zu teuer war, um sich weiter
zu betrinken.
Nahezu nebenbei pinkeln ein paar Frauen
in Milchkrüge und ein euphorischer Fan darf mal ein kleines Sektglas
kosten. Süß.
Die Damen, man vermutet Prostituierte
oder Pornodarstellerinnen, tauchen immer mal wieder auf, meist
oberkörper- oder unterkörperfrei, sie verkleiden sich und
stolzieren herum – gut, ganz passend. Der zweiten Höhepunkt der
„Skandalshow“ zeigt sich dann in einem sehr anuslastigen Herren,
dem ein nicht verächtliches Telefon samt Schnur aus dem Arsch
gezogen wird, denn, Achtung, Wortwitz: Die Jungs „können K.I.Z.
Leider nicht erreichen, das Telefon ist im Arsch“. Ich grinse
herzlich über den Wortwitz und wundere mich über die beachtliche
Anatomie unseres Darmausgangs.
Zu „Dicks sucken“ zieht dann ein
latexbekleideter, offensichtlicher SM-Fan seinen ähnlich bekleideten
Hund in Menschenform an der Leine in die Halle, entblößt sein
Gemächt und lässt ihn blasen. Unser Gedanke: Er tut uns ein wenig
Leid, denn anscheinend ist er zu nervös oder zu drauf, denn der Gute
will nicht so richtig stehen. Das Ganze hat also wenig wirklichen
Sexappeal, aber das passt ja irgendwo auch wieder, denn wer
Trailerpark Musik nüchtern als erotisch ansprechend ansieht, den
möchte ich gerne einmal beim Sex beobachten.
Insgesamt reißen es für mich die
Stimmung und die Songs raus, die ja eigentlich auch im Vordergrund
stehen sollten. Es macht einfach verdammt Bock, mit 10 000 Leuten die
Songs mitgrölen zu können, die höchstens einmal im Jahr gespielt
werden dürfen. Wer da nicht in Pogo-Laune kommt, der ist auf diesem
Konzert falsch.
Was insgesamt ein wenig nervt: Es ist
groß, es ist professionell, man hat fast das Gefühl, die Jungs
seien nüchtern. Jede Ansage ist offensichtlich so perfekt
einstudiert, dass Basti nach einer falschen Ansage die Worte im
nächsten Versuch im exakten Wortlaut wiederholt und generell fühle
ich mich zwischendurch ein wenig, als sei das Ganze hier nur noch ein
riesiger, trainierter Affenzirkus. Als Timi relativ am Anfang
anscheinend nicht ganz pünktlich zurückkommt, sieht man quasi schon
die Schweißperlen auf Suddens Stirn. Selbst der Zungenkuss zwischen
Timi und Ali ist einfach nicht mehr wie der erste sondern wirkt genau
so, wie er ist – provoziert.
Hin und wieder vermisst man doch
Trailerpark, wie man sie lieben gelernt hat – in kleinen Hallen,
vollkommen vercheckt und mit spontanen Einlagen. Im Nachhinein
betrachtet kommt mir das Ganze wesentlich authentischer und
dramatischer vor, als ein bisschen Fisten und Blasen. Doch wenn schon
irgendwelche Vice-Spacken mit Weißwein in ihren Sitzen hocken,
scheint die Zeit wohl vorbei zu sein.
In der Zeit hätten wohl auch mehr als
30% der Leute im Publikum gewusst, dass beim Song „Trailerpark“
im Refrain tatsächlich 5 Mal der Name des Labels gebrüllt wird,
anstatt 3 Mal. Aber Fanshaming alias „Ich kenne Alligatoah schon
seit der Steinzeit“ ist ekelhaft und ich freue mich einfach nur,
dass Skinny dabei ist, den ich später noch an der Bar ebenso
ekelhaft fangirlmäßig davon abhalten soll, in sein Taxi zu steigen,
während ich mich nicht mal traue, Basti anzulabern, der wieder so
wirkt, als würde er jedem sofort eine Schelle geben, der ihm auf den
Sack geht.
Insgesamt aber ein geiles Konzert.
Abgeschlossen wird mit lange erwartetem „Schlechter Tag“ in
normaler und Piano-Version mit dem wundervollen BRKN und emotionalem
„Can You Feel The Love Tonight“, was gefühlt die asoziale, um
sich schlagende Meute wieder in die Friedenszeit zurückwirft.
Am Ende hinterlassen die Stunden bei
mir ein wohliges Achselzucken und ich freue mich auf eine lange Nacht
in der Trailerpark Bar, wo die Menschen das ähnlich zu sehen
scheinen.
Zu meiner Überraschung war das Konzert
anscheinend doch ein Skandal.
Während ich also am nächsten Tag
verkatert durch die Kommentare der Social Media Seiten scrolle, frage
ich mich, ob diese Menschen vollkommen weltfremd sind oder das
Internet meine Fähigkeit, Skandale zu erkennen, zerstört hat. Es
schreiben Leute „Ich werde nie wieder Dicks sucken unschuldig hören
können!“ und ich denke mir Digga, in dem Lied geht’s ums
Schwänze lutschen. Was hast du denn bitte vorher gedacht? Dass es
nur ein fiktives Phänomen ist, dass es doch tatsächlich (!!) Männer
gibt, die sich gegenseitig einen blasen? Bist du so hetero, dass du
nicht mal deinen eigenen Schwanz sehen kannst? Es erklärt zumindest,
warum in Heteropornos der Mann ein Phänomen bleibt, das man nie
sieht, - akute Schwanzphobie, wie es mir scheint.
Sie suhlen sich in ihrer Rebellion,
lassen ihre Freunde sehen, wie abgebrüht sie sind, indem sie doch
tatsächlich Nacktheit mit pubertärem „Hihihi“ ertragen können,
und schreiben es auf Facebook, während ihre ach so prüden Freunde
sich vermutlich gerade Kannibalenpornos reinziehen. Herzlichen
Glückwunsch.
Ich für meinen Teil bin froh über ein
geiles Wochenende, über viele coole Leute und ein halbwegs
abwechslungsreiches Konzert und freue mich wahnsinnig auf Crackstreet Boys 4 und auf die nächste Tour.
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Quelle: Velodrom Berlin, Facebook |